Die aktivierende Pflege beschreibt einen Pflegegrundsatz, der das Ziel verfolgt, die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von Pflegebedürftigen zu fördern. Vor dem Hintergrund eines möglichst selbstbestimmten Lebens unterscheidet sich die aktivierende Pflege von der versorgenden bzw. kompensatorischen Pflege. Es wird Betroffenen nicht alles abgenommen, was sie selbst nicht mehr können. Im Gegenteil wird je nach Vorhandensein von Fähigkeiten der Fokus darauf gesetzt, diese zu erhalten, zu verstärken und zu reaktivieren.
Nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ gewinnen pflegebedürftige Menschen durch aktivierende Pflege an Selbstvertrauen. Nicht nur kranke, sondern auch alte Menschen profitieren von dem modernen Pflegeverständnis. Mit dem Alter schwinden Energie und Kraft. Alltagsaufgaben und Handgriffe, die ein Leben lang eigenständig ausgeführt wurden, fallen zunehmen schwer oder sind gar nicht mehr möglich. Der damit verbundene Verlust der Selbstständigkeit ist schwer zu ertragen und führt zu Resignation und Antriebslosigkeit. Durch die aktivierende Pflege soll dem entgegengewirkt werden, damit die Lebensqualität möglichst lange erhalten bleibt.
Anwendung aktivierender Pflege
Der Grundsatz der aktivierenden Pflege ist wichtiger Bestandteil des neuen Pflegeverständnisses. Hiernach werden drei wesentliche Grundgedanken verfolgt:
- Pflegebedürftige sollen Hilfe bei der Bewältigung von Krankheitsfolgen und funktionellen Beeinträchtigungen erhalten: Durch eine direkte oder indirekte Unterstützung sollen Auswirkungen von Gesundheitsproblemen in verschiedenen Lebensbereichen bewältigt werden. Gefördert werden Bereiche der Mobilität, während emotionale und kognitive Prozesse aktiviert werden. Menschen mit Demenz erhalten Hilfen für den Alltag. Durch die Verbesserung der Selbstpflegekompetenzen lassen sich psychische und körperliche Erscheinungen wie beispielsweise Inkontinenz bewältigen. Pflegende Angehörige werden im Umgang mit herausforderndem Verhalten von Pflegebedürftigen geschult.
- Förderung und Erhalt der Selbstständigkeit: Durch bestimmte Bewegungsübungen sollen Pflegebedürftige durch aktivierende Pflege sowohl körperliche als auch geistige bzw. seelische Kräfte beibehalten oder wiedergewinnen.
- Beratung, Aufklärung und Anleitung von Betroffenen und Angehörigen: Die Unterstützung im Umgang mit Krankheitsfolgen und Beeinträchtigung soll durch Selbstpflegekompetenz und Pflegekompetenz fokussiert werden. Durch Aufklärung und Anleitung zu individuellen Tagesplanungen, zu erwartenden Veränderungen in der Selbstständigkeit, zur Befähigung in der Kommunikation und durch Sensibilisierung für gesundheitliche Veränderungen sollen Kompetenzen erworben und vertieft werden.
Aktivierende Pflege wird von Pflegepersonen in allen Pflegebereichen angewendet. Pflegekräfte in Altenheimen, Pflegeheimen oder geriatrischen Stationen nutzen die Vorteile des Pflegeverständnisses für Senioren, Hochbetagte, Demenzpatienten und Pflegebedürftige. Menschen, die von Angehörigen gepflegt werden, können auch von der aktivierenden Pflege profitieren. Pflegende Angehörige können entsprechende Pflegekurse belegen und sich so fachliches sowie praktisches Wissen aneignen. Die Kosten für Pflegekurse werden in vielen Fällen von der Pflegekasse übernommen.
Wichtig dabei ist, dass alle aktivierenden und therapeutischen Maßnahmen individuell auf Pflegebedürftige mit individuellen Einschränkungen, Fähigkeiten und nicht mehr durchführbaren Tätigkeiten zugeschnitten sind. Risikofaktoren wie beispielsweise eine erhöhte Sturzgefahr müssen im Pflegekonzept berücksichtigt werden.
Konzepte in der aktivierenden Pflege
Das Bobath-Konzept bietet eine theoretische Grundlage für die aktivierende Pflege im Bereich der Geriatrie und Altenpflege. Im Fokus steht die Beziehung zwischen Pflegebedürftigen, Pflegekräften und Angehörigen, die gemeinschaftlich ein übergreifendes Pflegekonzept entwickeln, das auf den individuellen Gesundheitszustand zugeschnitten ist. Des Weiteren werden realistische Ziele und entsprechende pflegerische Maßnahmen festgelegt. Das Bobath-Konzept hat insbesondere das Ziel, Patienten mit Störungen im Zentralnervensystem durch Lagerung, Mobilisation und Selbsthilfetrainings zu rehabilitieren.
Aber auch das psychobiografische Pflegemodell von Erwin Böhm nimmt einen besonderen Stellenwert in der aktivierenden Pflege ein. Hier geht es in erster Linie um Menschen mit Demenz, die so lange wie möglich selbstständig denken und handeln sollen. Dabei wird von Böhm angenommen, dass es sich bei demenziellen Erkrankungen um seelische Prozesse handelt, die sich in Verhaltensauffälligkeiten äußern. Nach dem Böhm-Konzept sollen diese Auffälligkeiten verstanden werden, um angemessen darauf reagieren zu können. Ein besserer Zugang zu Demenzpatienten ist über deren persönliche Biographie möglich. Eine reaktivierende Pflege soll dabei helfen, gewohnte Fähigkeiten zurück zu erlangen.
Menschen mit Demenz profitieren besonders von Ansätzen der aktivierenden Pflege. Hier sind es festgelegte Tagesstrukturen, die nach der Eingewöhnung zu einer besseren Zeiteinschätzung und damit zu mehr Kontrolle über den eigenen Tagesablauf führen.
Vorteile und Nachteile der aktivierenden Pflege
Wenn nach dem Sinn und Zweck der aktivierenden Pflege gefragt wird, kann es nur eine eindeutige Antwort geben: Jeder Mensch möchte so lange wie nur möglich selbstbestimmt leben sowie aktiv am Leben teilnehmen. Die Vorteile des Pflegegrundsatzes liegen also auf der Hand:
- Erhaltung der Selbstständigkeit oder weitgehende Reaktivierung der Selbstständigkeit
- Förderung von geistigen Fähigkeiten für einen längeren Erhalt
- Förderung von körperlichen Fähigkeiten zur Beibehaltung oder Wiedererlangung
- Zunahme der Lebensqualität
- Verbesserung des Gesundheitszustandes
Von Nachteilen der aktivierenden Pflege kann eigentlich nur gesprochen werden, wenn die Zeit knapp ist. Pflegehandlungen dauern in der Regel länger, wenn Pflegebedürftige selbst dazu beitragen oder mit anpacken sollen. Manchmal sehen Angehörige oder Patienten nicht ein, warum sie aktiv selbst bei der Pflege mitmachen sollen. Pflegemaßnahmen können beschwerlich sein, weshalb sie auf Pflegekräfte übertragen werden. Hier müssen die Vorteile der aktivierenden Pflege klar kommuniziert werden, um zu zeigen, warum sich der Aufwand lohnt.
Aktivierende Pflege kann jedoch auch an ihre Grenzen stoßen, die in folgenden Fällen eintreten:
- Pflegebedürftige liegen im Sterben
- Pflegebedürftige sind akut erkrankt oder leiden unter starken Schmerzen
- Pflegebedürftige sind nicht mehr in der Lage, zu kommunizieren
Wie funktioniert aktivierende Pflege?
Aktivierende Pflege wird auf verschiedenen Bereichen angewandt. Unterschieden wird zwischen
- körperlicher bzw. motorischer Aktivierung
- geistiger bzw. kognitiver Aktivierung
- alltagspraktischer Aktivierung
- sinnlicher bzw. sensorischer Aktivierung
Bei der motorischen Aktivierung geht es darum, die Bewegungsfähigkeit zu erhalten oder aber wiederzuerlangen. Bei Senioren und Hochbetagten kann zum Beispiel ein gezieltes Training mit vorsichtigen Bewegungen durchgeführt werden, was das Gleichgewicht zur Vermeidung von Stürzen schult. Muskelkraft und Gleichgewichtssinn können auch im hohen Alter trainiert werden. Im Bereich der kognitiven Maßnahmen geht es hingegen darum, das Gedächtnis und die geistigen Fähigkeiten zu trainieren. So lassen sich im Anfangsstadium demenzielle Erkrankungen verlangsamen und Krankheitsfortschritte herauszögern.
Bei der alltagspraktischen Unterstützung wird darauf geachtet, dass sich Menschen in Bereichen wie Nahrungsaufnahme, Körperpflege oder Kontaktpflege möglichst lange selbstständig verhalten können. Hier wird oft auf Hilfsmittel zurückgegriffen. Bei der aktivierenden Pflege von schwachen Menschen oder Parkinson-Patienten können Haltegriffe, Anziehhilfen und Spezialbestecke dabei helfen, den Alltag eigenständig zu bewältigen. Bei schwer beeinträchtigten oder bettlägerigen Menschen wird auf sensorische Maßnahmen gesetzt, um ein Verkümmern der Wahrnehmungsfähigkeit zu verhindern.
Aktivierende Maßnahmen im Alltag – auch für pflegende Angehörige
Die aktivierenden Maßnahmen hängen immer davon ab, welche Voraussetzungen und Fähigkeiten die zu pflegende Person mit bringt. Folgende Beispiele sollen als Orientierung dienen:
- Aktivierung durch Waschung: Wasser wirkt psychisch und körperlich belebend, weshalb bei Menschen mit Bewusstseinseintrübung, Durchblutungsstörungen oder Antriebslosigkeit gerne auf eine erfrischende Waschung gesetzt wird. Diese Waschung dient zur Aktivierung und nicht zur Körperpflege. Bei der Waschung wird die Haut des Pflegebedürftigen mit einem rauen und tropfnassen Waschlappen entgegen der Haarwuchsrichtung gewaschen. Dabei ist auf den angemessenen Druck zu achten, damit Pflegebedürftige die Körpergrenzen wieder gut spüren. Bei der Wassertemperatur werden etwa 27 Grad Celsius empfohlen, was kühl – aber nicht zu kalt – empfunden wird und geeignet ist, Körper und Geist anzuregen. Eine aktivierende Waschung darf nicht für Menschen mit erhöhtem Blutdruck oder Hirndruck angewendet werden, weil sie den Blutdruck erhöhen kann.
- Körperpflege in Seitenlage: Sehr schwache oder bettlägerige Menschen können dann bei der Körperpflege mithelfen, wenn sie sich in einer geeigneten Position dafür befinden. Hierfür empfiehlt sich die stabile Seitenlage. So kann die Waschschüssel unmittelbar vor dem Oberkörper platziert werden und befindet sich in Greifnähe. Im Idealfall können Pflegebedürftige so mit einem Waschlappen selbst ihren Kopf, Oberkörper, den Intimbereich und Oberschenkel eigenständig reinigen. Ist das nicht möglich, können Pflegekräfte während dieser Tätigkeiten die Hand führen.
- Gedächtnistraining bei Demenz: Menschen mit demenziellen Erkrankungen profitieren insbesondere im Anfangsstadium von gezielten Gedächtnistrainings. Aber auch körperliches Training ist wichtig, um Mobilität und Stimmung zu fördern. Beide Trainings sind geeignet, den Krankheitsverlauf zu verzögern und den Abbazu verlangsamen.
Wichtige Tipps für Angehörige
Auch pflegende Angehörige können – wie bei der Möglichkeit von Pflegekursen bereits erwähnt – den Grundsatz der aktivierenden Pflege zu Hause in der Versorgung umsetzen.
Bei der Körperpflege könnte beispielsweise die notwendigen Hilfsmittel bereitgestellt werden, um zum selbstständigen Waschen zu motivieren. Bei Bedarf müssen Abläufe erklärt werden. Ist ein eigenständiges Waschen nicht mehr möglich, bietet es sich an, die Hand des Pflegebedürftigen zu führen. Gleiches gilt für den Toilettengang und die Intimhygiene. Hier sollte möglichst darauf geachtet werden, dass die Intimsphäre gewahrt wird; beispielsweise durch das Begleiten zur Toilette und einem kurzfristigen Verlassen des Raumes, bis wieder Hilfe benötigt wird.
Aktivierende Pflege bedeutet auch ein respektvoller Umgang. Beim An- und Ausziehen sollten Wünsche und die Auswahl der Kleidung berücksichtigt werden. Beim An- oder Auskleiden kann auf Hilfsmittel wie Schuhanzieher oder aber praktische Unterstützung zurückgegriffen werden. Bei der Ernährung ist es wichtig, für ausreichend Zeit zum Essen und Trinken zu sorgen. Da die Eigenständigkeit im Vordergrund steht, darf eine potenzielle Tischetikette in den Hintergrund rücken. Teller mit hohem Rand, angewinkeltes Besteck und Schnabeltassen sind geeignet, dass Pflegebedürftige weitestgehend eigenständig agieren können. Ansonsten gilt auch hier, dass die Hand geführt werden kann. Zur aktivierenden Pflege gehört nicht zuletzt, dass Pflegebedürftige zu Beschäftigungs- und Bewegungsangeboten motiviert werden sollten.
Fazit
Aktivierende Pflege ist geeignet, Menschen beim Erhalt ihrer Selbstständigkeit zu helfen. Verschiedene Maßnahmen verleihen Pflegebedürftigen wieder mehr Selbstbewusstsein. Die Förderung der Fähigkeiten und das Bewusstsein dafür, Aufgaben wieder selbst durchführen zu können, machen Patienten stolz. Letztendlich ist die aktivierende Pflege geeignet, die Lebensqualität wieder herzustellen und zu stabilisieren.
Auf der anderen Seite dauern viele pflegerische Maßnahmen und Aufgaben länger als bei der klassischen Pflege. In Betreuungskonzepten wie der 24 Stunden Betreuung haben Pflegekräfte ausreichend Zeit, diese umzusetzen. Deshalb spricht sich die Unternehmensgruppe CareWork & SHD für die aktivierende Pflege aus. Pflege- und Betreuungskräfte werden entsprechend geschult und wenden Maßnahmen der aktivierenden Pflege schon lange erfolgreich an.